(Video) Rolf Molich über "Discount Usability"-Testmethoden und "quick & dirty" User-Tests in der realen Welt
9. Mai 2016
Vor kurzem hatten wir bei einem Besuch in Dänemark die Ehre ein Interview mit Rolf Molich zu führen. Er ist eine Usability-Koryphäe und befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema. In dem Video-Interview erklärt Rolf:
- Wie man wertvolle Ergebnisse mit “quick & dirty” Usability-Tests erzielt
- Warum es wichtig ist, User-Tests in der “realen Welt” zu machen
- Warum größere Budgets nicht immer die Lösung für Usability-Probleme sind
- Welche Auswirkung die Verwendung mehrerer Geräte auf Usability-Tests hat
Genießen Sie die nächsten 11 Minuten mit Rolf:
Transkript des Interviews:
Rolf: Die ersten Usability-Tests habe ich 1984 durchgeführt, also schon vor sehr langer Zeit. Was mich in diesem Gebiet überrascht hat und immer noch regelmäßig erstaunt, ist, dass viele der Probleme die wir heute haben, die gleichen sind, wie damals in meinen Anfängen 1984.
Lotte: Welche Usability-Probleme sind es, die heute immer noch existieren?
Rolf: Tja, ich glaube es ist immer noch der klassische Fehler, dass alle –– mich eingeschlossen – glauben, dass sie es richtig machen können; dass sie keine mühsamen und komplizierten Methoden einsetzen müssen, bei denen sie mit Usern testen. Das benötigt Zeit und ist unangenehm und so weiter. Es gibt heute immer noch viele grundlegende Dinge, von denen wir seit vielen Jahren wissen, dass die Menschen sie falsch machen. Zusammen mit meinem Freund und Kollegen Jakob Nielsen habe ich 1990 Regeln und die sogenannten Heuristiken definiert. Es freut mich sehr, dass die Heuristiken heute, 25 Jahre später, immer noch sehr beliebt und weit verbreitet sind.
Lotte: Hat die Verwendung verschiedener Endgeräte eine Auswirkung auf Usability?
Rolf: Nun, erst einmal muss ich sagen, dass ich dazu keine Studien gemacht habe. Ich habe ein paar Usability-Tests auf kleinen Benutzeroberflächen und großen Benutzeroberflächen gemacht. Und ich habe ein Prinzip: Ich spreche nicht über die Dinge, über die ich kein Wissen habe, keine Daten, wie ich immer zu sagen pflege. Aber aus meiner Sicht – um dennoch eine Antwort zugeben – wird Konsistenz immer wichtiger. Also wenn man die gleiche Benutzeroberfläche oder ähnliche Benutzeroberflächen auf mehreren Endgeräten hat, wird Konsistenz sehr wichtig, damit die Nutzer ihr Wissen von einem Gerät auf ein anderes übertragen können. Aber dennoch, die grundlegende Botschaft ist, du musst es testen. Um herauszufinden, wo die Probleme liegen, musst du Tests mit Nutzern – echten Nutzern – machen, und sie echte Aufgaben auf diesen Benutzeroberflächen erledigen lassen. Und diese Probleme könnten auch ganz andere sein, als Konsistenzprobleme.
Lotte: Gibt es spezielle Usability-Herausforderungen für Endgeräte mit kleinen Benutzeroberflächen?
Rolf: Ja klar. Geräte mit kleinen Bildschirmen haben spezielle Herausforderungen aufgrund des limitierten Platzes auf dem Bildschirm. Und es ist wichtig, Widgets und Elemente auf dem Bildschirm zu verwenden, die bei den Nutzern sehr bekannt sind und ihnen eine konsistente Kontrolle über den Bildschirm bieten.
Lotte: Sind größere Budgets nötig, um Usability-Tests auf unterschiedlichen Endgeräten durchzuführen?
Rolf: Nun, nicht unbedingt zwingend größere Budgets. Hier gibt es viele Lösungsmöglichkeiten, es ist nicht zwingend ein größeres Budget. Es könnten Menschen mit besserem Expertenwissen sein, es könnte mehr Zeit sein, es könnte besseres Wissen über moderne, effiziente Methoden sein – das ist eines der Dinge, die ich versuche zu vermitteln, wenn ich Fachkräfte trainiere. Und das Wissen über “Discount Usability”-Methoden, die es einem ermöglichen mehr für sein Geld zu bekommen. Ganz ohne ein teures Usability-Labor, einfach indem man auf die Straße geht und ein paar “quick & dirty” Tests macht und dann versucht, einen guten, iterativen Zyklus zu starten, bei dem man Probleme korrigiert, testet, neu gefundene Probleme korrigiert, wieder testet, und so weiter und so fort.
Ein großes Budget ist nicht zwingend eine gute Lösung um mehr Probleme zu lösen. Eine Methode, die ich manchmal anwende, ist, in ein Kaffeehaus oder auf einen öffentlichen Platz zu gehen, wie zum Beispiel eine Bibliothek, und dann Leute zu fragen: “Kann ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen und im Gegenzug 10 Minuten Ihrer Zeit bekommen?” Und dann machen wir einen, zugegebenermaßen “quick & dirty” Test, bei dem ich keine große Kontrolle darüber habe, was für Teilnehmer ich bekomme. Aber zum Auffinden vieler Usability-Probleme ist oft kein kompliziertes Setup nötig. Wenn man nur die einfachen Dinge, die “niedrig hängende Früchte” korrigiert, wird man bereits eine Nutzeroberfläche haben, die besser oder zumindest so gut wie jene der Mitbewerber ist.
Eine Sache, die ich gelernt habe ist, dass größere Budgets nicht immer die Lösung für Usability-Probleme sind. Ich habe Teams gesehen, die viel Geld zur Verfügung hatten, und es dennoch furchtbar falsch gemacht haben.
Lotte: Sollten wir uns aus dem Forschungslabor bewegen und mehr in natürlicherer Umgebung testen?
Rolf: Ich denke es ist immer wichtig Nahe an der Realität zu testen. Es gibt gewisse Vorteile bei Tests in Usability-Laboren: Es ist leicht Leute zu bekommen und sie bei der Erfüllung von Aufgaben zu beobachten – was eine immense politische Auswirkung in Firmen haben kann. Aber oft ist die Umgebung in Usability-Laboren nicht natürlich, sie ist künstlich und kalt, und –hmmm was ist das Wort – steril. Deswegen gibt es viele reale Probleme, die man hier nie antreffen wird. Deswegen sage ich immer, man soll hinausgehen, in die “schmutzige” Welt und herausfinden, wie die Dinge hier funktionieren, zu Hause bei den Nutzern. Das ist einer der Gründe, warum ich in letzter Zeit viele unmoderierte Tests mache, also ganz ohne Usability-Labor. Dafür arbeiten die Menschen mit ihren üblichen Benutzeroberflächen, in ihrer Umgebung, auf ihren Browsern, ihren Computern. Und dabei erkennt man so einige Probleme in der realen Welt, wo die Menschen anders als in einer Laborsituation unterschiedliche Computer und unterschiedliche Browser verwenden.
Ich kenne wenige Usablity-Probleme, die per definitionem nicht in einem Usability-Labor gefunden werden könnten. Aber der Punkt ist, Moderatoren und Usability-Tester sind sich dieser Probleme nicht immer bewusst. Wenn man bei den Menschen zu Hause testet, kommen die Probleme auf natürliche Art ans Tageslicht. Ein anderes gutes Beispiel sind beispielsweise, offene Aufgabenstellungen für die Nutzer. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wenn man die Usability einer Autovermietungs-Webseite testen will, sagt man den Nutzern nicht: “Miete ein Auto in Frankfurt, ab morgen, und für 48 Stunden.” Sondern man fragt auf eine offene Art: “Planst du in nächster Zeit zu verreisen? Oh, du willst nach Strasbourg, oder nach Wien! Wann geht die Reise los? Kannst du mir bitte zeigen, wie du ein Auto am Wiener Flughafen mieten würdest, das deinen Bedürfnissen und deinem Geldbeutel entspricht?” Auf diese Art, indem der Nutzer selbst die Aufgabe formuliert, werden nicht immer die identischen Aufgaben getestet, oder, wie es eben bei unmoderierten Usability-Tests oft der Fall ist, bringt die Ausrüstung des Nutzers oft Überraschungen ans Tageslicht. Und so lernt man meistens viel mehr.
Lotte: Ist es richtig, dass man “nur mit 5 Nutzern in einem iterativen Zyklus testen muss”?
Rolf: Ich denke ja. Nur kurz zur Klarstellung: Hier handelt es sich eigentlich um zwei Zitate. Das Originalzitat ist, dass 5 Nutzer genug sind, um 85% der Probleme aufzudecken. Hier wurde ganz klar gezeigt, dass das nicht richtig ist. Studien, die ich gemacht habe, vergleichende Usability-Evaluierungen, habe klar gezeigt, dass das definitiv nicht richtig ist. Aber es ist richtig, dass ich ein großer Advokat davon bin, dass 5 Nutzer so viele Probleme finden können, dass es besser ist mit 5 Nutzern zu testen, anstatt mit mehr als 5 Nutzern zu testen, zurück zum Entwicklerteam zu gehen und ihnen zu sagen “bitte dies und jenes korrigieren”. Und wenn man nachdem die Änderungen gemacht wurden, noch Zeit zum Testen hat, rauszugehen und weiter zu testen. Und das ist wieder eines der grundlegenden Prinzipien von “Discount Usability”-Tests. Also es auf eine Art zu machen, bei der man zwar ziemlich sicher ist, dass man nicht alle Probleme lösen wird, aber trotzdem einen immens hilfreichen und höchst kosteneffizienten Ansatz hat.
Lotte: Wie kann man von Entscheidungsträgern mehr Engagement für Usability bekommen?
Rolf: Der beste Weg den ich kenne um Firmen zu überzeugen, die bei Usability noch nicht sehr weit sind, nicht wirklich wissen was Usability ist, ist, ihr Produkt in einem einfachen Usability-Test zu testen. Ein Usability-Test bei dem das Hauptziel ist, dem Management, den Kollegen, dem Entwicklerteam, den Marketingverantwortlichen und den Trainern usw. zu zeigen, “dass es da Probleme auf unserem Interface gibt. Aber die gute Nachricht: Es gibt einfache Wege diese Problem noch rechtzeitig zu lösen.” Das ist die erste Sache, die ich versuche zu tun. Also quasi vom Ende her zu starten, mit dem Testen zu starten. Und dann darauf zu hoffen, dass sie, nachdem sie feststellen “ja, es gibt Probleme mit unseren Produkten” draufkommen, dass sie das nächste Mal ein wenig früher damit starten sollten, die Bedürfnisse der Nutzer mit einer “Contextual inquiry” zu verstehen, Nutzer-Interviews durchzuführen, Usability-Anforderungen aufzusetzen, Prototypen zu machen und diese zu testen.
Ein GROSSES Dankeschön an Rolf
Wir möchten uns herzlich bei Rolf für die Einladung zu sich nach Hause und das Interview bedanken. Jedes Treffen mit ihm, ob in Wien oder in Dänemark ist eine Freude und die Gespräche mit ihm sind immer sehr inspirierend.
Über Rolf Molich:
Rolf Molich ist eine Usability-Koryphäe. Er führte die ersten Usability-Tests im Jahr 1983 durch und widmet sich seitdem dem Thema. Zusammen mit Jakob Nielsen hat er 1990 die Heuristiken für User Interface Design entwickelt. Noch heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, gehören sie zu den am meisten genutzten Heuristiken. Rolf betreibt von Dänemark aus seine Usability-Beratung Dialog Design.
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