Auswahlparadox am Beispiel von Diamanten: Wie eine vereinfachte Auswahl zu mehr Kaufabschlüssen führte
18. November 2020
Von der Klobrille bis hin zur Speisekarte – je mehr Auswahl umso besser!? Das ist nicht immer so. Denn eine besonders breite Angebotspalette kann auch überfordernd wirken.
Manchmal wird ein zu großes Sortiment sogar als frustrierend empfunden. Dann wird die Entscheidung im besten Fall als schwierig angesehen, im schlimmsten Fall wird – weil Unterschiede nicht erkennbar sind oder nicht verstanden werden – anstelle einer falschen lieber gar keine getroffen.
Oft wird in diesem Zusammenhang vom Paradox of Choice (Auswahlparadox) gesprochen, auch als „Too-Much-Choice-Effekt“ betitelt. Vereinfacht gesagt geht es dabei darum, dass zu viele Entscheidungsmöglichkeiten die Entscheidungsfindung behindern. Unter Fachleuten gibt es Kritik an der universellen Gültigkeit des Effektes, laut einer Metaanalyse von Scheibehenne u.a. müssen für eine Wahlüberlastung bestimmte Bedingungen gelten.
Auch wir haben kürzlich bei einem unserer Projekte festgestellt, dass vor allem Faktoren wie Komplexität, fehlendes Vorwissen und (wahrgenommene) Angebotsdichte potenzielle Käufer davon abhalten, eine Kaufentscheidung zu treffen.
„Ohhhs“ und „Hallelujas“ beim Kauf von Diamantringen
MyDiamondRing bietet die Möglichkeit, mit einem Ring-Konfigurator einen Diamantring nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zuerst wird eine Fassung gewählt, danach der passende Diamant ausgesucht.
Im Rahmen unserer Nutzerforschung für die Webseite mussten wir feststellen, dass die meisten Besucher gut durch den Konfigurator kamen – bis zu dem Punkt, an dem sie einen Diamanten wählen sollten.
Die große Auswahl an Diamanten auf der Seite resultierte in schierer Überforderung:
Doch nicht nur die große Auswahl machte den Besuchern zu schaffen, sondern auch der Eindruck, dass alle Diamanten auf den ersten Blick gleich aussehen. Folgende Faktoren spielten dabei eine wichtige Rolle:
Wahrgenommene Komplexität und Dichte der Auswahl
Die meisten scheiterten schon bei dem Versuch, den Unterschied der angebotenen Diamanten zu verstehen. Als einziges Unterscheidungsmerkmal wurde – nach längerer Betrachtung – das unterschiedliche Karat-Gewicht ausgemacht. Weitere Unterscheidungsmerkmale wie Farbe und Reinheit wurden größtenteils übersehen.
Was wir in diesem Fall beobachten konnten: nicht nur die bloße Anzahl der Optionen, sondern auch die Komplexität und die Dichte der Auswahl spielten eine Rolle. Bei einem Sortiment mit hoher (wahrgenommener) Dichte liegen die Alternativen sehr nahe beieinander. Je weniger sich Optionen voneinander unterscheiden (bzw. Unterschiede wahrgenommen werden), umso schwieriger ist die Entscheidungsfindung.
Fehlendes Vorwissen
Außerdem zeigte sich, dass den meisten schlichtweg das nötige Wissen fehlte, um zusätzliche Unterscheidungsmerkmale zu verstehen und einzuordnen.
Die meisten Nutzer hatten wenig Erfahrung mit dem Kauf von Diamanten. Besonders bei geringen Vorkenntnissen über die angebotenen Produkte scheint eine große Angebotspalette einfach zu viel zu sein. Denn jemand, der noch keine genaue Vorstellung hat, ist von einer großen Auswahl schnell überfordert. Umgekehrt schätzen Menschen, die schon genau wissen, was sie wollen, aus einem größeren Sortiment wählen zu können.
Die Besucher resignierten an dieser Stelle und kamen zu dem Schluss, dass sie sich hier Beratung bei der Auswahl wünschten oder andernfalls die Seite verlassen würden.
Die reiche Angebotspalette, die für jeden Geschmack und jedes Budget etwas zu bieten hatte, führte dazu, dass aus Überforderung und Furcht vor einer Fehlentscheidung lieber ganz auf eine Auswahl verzichtet wurde.
Leichtere Entscheidung durch Empfehlungen und verkürzte Anzeige
Immer wieder betonten die Besucher der Webseite, dass sie sich an dieser Stelle nun lieber von einem Experten beraten ließen, der ihnen sagt welcher Diamant sich für die gewählte Fassung am besten eignet.
Dieses Feedback wurde bei der Überarbeitung der Seite aufgenommen. In der neuen Version gibt MyDiamondRing Empfehlungen ab und nimmt den Nutzern so die Angst vor Fehlentscheidungen. Zusätzlich gibt es als Entscheidungshilfe eine Box mit Erklärungen zu den Unterscheidungsmerkmalen.
Um die Besucher nicht gleich mit dem großen Sortiment zu erschlagen, wird unter den Empfehlungen nur ein kleiner Teil des Sortiments aufgelistet. Weitere Optionen werden nur auf Wunsch angezeigt. So werden potenzielle Käufer mit wenig Vorkenntnissen nicht überfordert, gleichzeitig gibt es jenen, die bereits eine klare Vorstellung des gewünschten Diamanten im Kopf haben, die Möglichkeit, genau diesen in der umfangreichen Produktpalette zu finden.
Fazit:
Das menschliche Entscheidungsverhalten birgt interessante Paradoxien. Einerseits wünschen wir uns oft größtmögliche Wahlfreiheit. Andererseits erschwert eine breite Angebotspalette in manchen Fällen die Wahl. Nutzerforschung hilft dabei herauszufinden, wie ein Produktsortiment auf die Menschen wirkt und ob die angebotenen Optionen für Freude oder Frust sorgen. Im Falle von Frust ist es wichtig, nicht einfach nur auf ein reduziertes Angebot zu setzen, sondern im Detail herauszufinden, was genau die Entscheidungslaune trübt.